Robotik Besteht die nächste Generation von Robotern aus lebenden Zellen?

Ein Gastbeitrag von K. Christoph Keller & Dr. Georg Klose*

Wenn Technik und Biologie sich gegenseitig durchdringen, sprechen Wissenschaftler von Hybridisierung. Diese Verbindung von lebendigen und künstlichen Bestandteilen wird heftig diskutiert. Deshalb sollten gesellschaftliche Befindlichkeiten nicht ignoriert werden.

Roboter werden in Zukunft lebende Komponenten, Module oder Teilsysteme enthalten.
Roboter werden in Zukunft lebende Komponenten, Module oder Teilsysteme enthalten.
(Bild: gemeinfrei / Pixabay)

Haben Sie schon von José gehört? Möglicherweise noch nicht. José ist ein siamesischer Kampffisch und gleichzeitig das Gehirn eines autonomen Roboters, den der neuseeländische Künstler und Designer Adam Ben-Dror gebaut hat. Wobei: Analogien wie Gehirn sind schwierig, weil wir es hier mit etwas völlig Neuem zu tun haben. Das Aquarium von José – es sieht fast aus wie ein Goldfischglas – ist auf einem robotischen Fahrzeug montiert. José orientiert sich mit seinen Augen durch Wasser und Glas hindurch. Einige Sensoren erfassen seine Bewegungen und José steuert so durch unsere menschliche Welt. Beispielsweise kommt er her, wenn sein Besitzer ihn lockt und kann dabei Hindernisse umfahren.

Diese Entgrenzung von technologischen und biologischen Systemen, d. h. die Auflösung der Grenzen zwischen lebenden Organismen und technischen Komponenten ist Gegenstand der aktuellen Studie „Auf dem Weg in ein hybrides Zeitalter?“, die im Rahmen des Vorausschau-Prozesses des Bundesministeriums für Bildung und Forschung durchgeführt wurde.

José und sein Abovemarine genanntes Gefährt sind im Ganzen gesehen weder Fisch noch Roboter, sondern eine neue hybride Existenz, die ein technisches System und ein biologisches Lebewesen zu etwas mit bisher nicht gekannten Eigenschaften verschmilzt. Einem Fisch, der in unserer Luftwelt herumstreift. Doch es geht nicht nur um Fische, sondern um das ganze Spektrum biologischer Systeme. Vom Molekül über Einzeller bis zum Menschen. Weltweit forschen Start-ups und Forschungseinrichtungen an neuartigen Möglichkeiten zur Verbindung und wechselseitigen Integration von biologischen und technischen Systemen. Die Technologiekonzerne aus dem Silicon Valley investieren hohe Summen in Gehirn-Computer Schnittstellen, um Menschen und digitale Technologie zu verschmelzen.

Im biologischen/medizinischen Zusammenhang ist das Neue daran die Integration technischer Teilfunktionen in Lebewesen. Dass das möglich ist, wurde vom Insekt bis hin zum Menschen demonstriert. Diese gegenseitige Durchdringung von Technik und Biologie löst auch Kontroversen aus, weil sie im wahrsten Sinne des Wortes unter die Haut geht. Sie ist faszinierend – gleichzeitig vielversprechend und bedrohlich, interessant und beängstigend.

Wir haben uns angewöhnt, technische Systeme nach ihrer Leistungsfähigkeit und ihren Kosten zu beurteilen. Für eine derart komplexe Technik, die so kontrovers aufgenommen werden kann, genügt das nicht mehr. Hier spielen gesellschaftliche Erwägungen ebenfalls eine wichtige Rolle.

Während eine künstliche Netzhaut mit einer direkten Nervenschnittstelle vollkommen akzeptabel ist, um einer blinden Person das Augenlicht wieder zu geben, würde dasselbe Stück Technologe als Zielgerät einer Waffe auf starke Vorbehalte stossen. Bei empfindungsfähigen hybriden oder künstlichen Organismen ist es durchaus zu erwarten, dass zukünftig die Prinzipien des Tierschutzes mit angewandt werden müssen. Auch darüber, ob gesunde Menschen technisch verbessert werden dürfen oder ob neuartige Organismen in die Umwelt entlassen werden sollten, wird es noch kontroverse Diskussionen geben. Das Ende ist offen.

Biologische Systeme haben einige technisch interessante Fähigkeiten hervorgebracht. Insbesondere die Wahrnehmungs- und Sinnesleistungen von Organismen sind häufig herausragend. Reproduktionsfähigkeit, Regeneration und Selbstreparatur sind trotz aller technischen Fortschritte wie auf dem Gebiet der selbstheilenden Materialien immer noch lebenden Systemen vorbehalten. Sie haben aber zum Teil auch nachteilige Eigenschaften. Stellen Sie sich einfach vor, Sie kommen in den Betrieb und hören den Satz: „Unsere Roboter haben sich heute krank gemeldet. Sie sagen, sie haben Muskelkater.” Es wird also darum gehen, die jeweils besten Eigenschaften von Natur und Technik zu etwas Neuem zu kombinieren. So wie bei José und seinem Abovemarine-Gefährt.

Im technischen Zusammenhang ist die direkte Nutzung biologischer Teilfunktionen und Fähigkeiten neu. Das bedeutet, dass zukünftige Roboter – und andere Maschinen – zum Teil, möglicherweise auch als Ganzes, leben werden oder lebende Komponenten, Module oder Teilsysteme enthalten.

Im laufenden BMBF-Foresight-Zyklus haben die Experten den lebendigen Roboter auf dem Zeithorizont bis 2035 platziert. Da die hier benötigte Grundlagenentwicklung bis zu einem Jahrzehnt beanspruchen kann, sollten sich Unternehmen, die in der Robotik tätig sind oder einen Einstieg in dieses Technologiefeld als Chance sehen, jetzt beginnen, sich mit diesen neuen Möglichkeiten zu befassen und vor allem um das notwendige Biologiewissen aufzubauen.

Biologische Systeme bei kleinen Grössenskalen im Vorteil

Je nach Grösse werden andere Strategien zum Einsatz kommen. Grosse und sehr grosse Systeme werden immer ein technisches Grundgerüst besitzen, weil der natürlichen Grösse von Lebewesen mechanische und physiologische Grenzen gesetzt sind. Schwieriger ist die Beurteilung auf der mittleren Grössenskala. Systeme von der Grösse einer Kaffeetasse können sowohl auf biologischer Basis mit integrierten technischen Elementen als auch auf technischer Basis mit integrierten biologischen Elementen effektiv konstruiert werden. Wahrscheinlich werden diese Systeme in Schwärmen arbeiten, was einen gewissen Vorteil für biologische Basissysteme erwarten lässt. Sie könnten aufgrund ihrer Komplexität lernfähig sein, während sich Einzeller nur zum Zeitpunkt ihrer Erzeugung über ihr Erbgut programmieren lassen. Bei diesen kleinen und winzigen Systemen weist eine biologische Basis eindeutige Vorteile auf. Der Miniaturisierungsgrad von Bakterien ist kaum zu überbieten und ihr Einsatz hat sich beispielsweise in der Arzneimittelproduktion bereits herkömmlichen Syntheseverfahren gegenüber überlegen gezeigt. Auf dieser Grössenskala bieten die Selbstorganisation, wie sie in Biofilmen beobachtet werden kann, aber auch die Reproduktion – es genügt ein Einzeller mit den gewünschten Eigenschaften, der sich dann vermehrt – technisch interessante Möglichkeiten.

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Aus technischer Sicht wird es auch entscheidend sein, dass sich die neuartigen lebenden biologischen Komponenten und Module nahtlos integrieren lassen, kompatible Schnittstellen aufweisen und einfach zu versorgen sind. Für Ingenieure stellt sich die neue Herausforderung, diese Maschinen-Teile am Leben zu erhalten, indem ihr Lebensraum im Innern oder an der Oberfläche des technischen Gebildes gestaltet und erhalten wird. Das geschieht beispielsweise durch eine Sauerstoffversorgung und die Einhaltung bestimmter Temperaturgrenzen, die enger sein können als bei rein mechanischen oder elektrischen Systemen.

Was können wir also durch Hybridisierung erwarten, nachdem die unvermeidlichen Schwierigkeiten jeder neuen Technologie überwunden sind?

Zum Beispiel riechende Roboter. Sie sind mit künstlichen Nasen ausgestattet, die ihnen die Welt der Gerüche aufschliessen. Dazu setzen Forschende auf beiden Seiten des Atlantiks heute schon lebende Zellen in Sensoren ein. Die Rezeptoren dieser Riechzellen sind genetisch für ihre Aufgabe programmiert. So wie Roboter in Fertigung und Montage seit Langem präzisere Bewegungen als Menschen durchführen können, werden diese Roboter in Zukunft auch präziser riechen können als wir und selbst die empfindlichsten Tiernasen.

Oder die Besiedelung der Oberfläche eines technischen Gebildes mit speziellen Einzellern, um diesem wie bei einer Schnecke eine sich selbst regenerierende Schutzschicht zu verleihen. Oder durch eine Schleimschicht – wie bei Fischen – den Wasserwiderstand zu reduzieren und so Energie zu sparen.

Füttern nicht vergessen!

Weiter in der Zukunft verspricht die neue Disziplin der synthetischen Biologie technologische Durchbrüche. Diese Wetware-Maschinen bestehen nicht mehr aus Metallen und Kunststoffen, sondern aus lebenden Zellen. Der erste programmierbare lebende Organismus hört auf den Namen Xenobot und wurde von Forschenden der Universität von Vermont, USA, aus Froschzellen geschaffen. Xenobot kann laufen, schwimmen, kleine Lasten transportieren und sogar mit seinesgleichen im Team arbeiten. In Zukunft könnten Tausende dieser dienstbaren Geister zum Beispiel bei der Reinigung der Weltmeere von Mikroplastik Grosses vollbringen. Wenn - auch das ist neu - sie immer gut gefüttert werden, damit sie nicht verhungern.

Roboter können heute – je nach Einsatzort und Einsatzzweck – bereits ganz verschiedene Formen und Gestalten annehmen. Vom fünfachsigen Industrieroboter über fliegende Kameradrohnen bis zum diskusförmigen Staubsaugerroboter und zum selbstfahrenden Labor auf der Oberfläche eines anderen Himmelskörpers. Nicht alle Roboter werden zukünftig aus lebenden Zellen bestehen; viele werden ein Hybrid aus Technik und Biologie sein. Roboter, die ganz aus lebenden Zellen bestehen, werden nicht so aussehen, wie wir uns heute einen Roboter vorstellen.

Die neue Studie für das BMBF untersucht die Trends und Treiber der Entgrenzung von Technologie und Biologie – und umgekehrt. Einzeltechnologien wie invasive und nicht-invasive Gehirnschnittstellen, Exoskelette, digitale Androide, biohybride Materialien oder synthetische Zellen werden hinsichtlich ihres Entwicklungsstandes und in Bezug auf ihre Perspektiven in den kommenden 15 Jahren betrachtet und die Analyseergebnisse an verschiedenen gesellschaftlichen Zukünften, sprich: Szenarien gespiegelt.

Dieser Beitrag stammt von unserem Partnerportal maschinenmarkt.vogel.de

* K. Christoph Keller ist Ingenieur, Zukunftsforscher und arbeitet als Senior-Projektmanager bei Prognos.

* Dr. Georg Klose ist Leiter Digital Development bei Prognos.

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