Robotik der Zukunft Der Roboter ist kein Ersatz für den Menschen
Anbieter zum Thema
Fortschritte in der Robotertechnologie tragen dazu bei, dass sich Roboter zunehmend in praktisch allen Industriezweigen durchsetzen. Welche Entwicklungen zu erwarten sind, wird in diesem Interview beleuchtet.

Zu was sind Roboter in Zukunft fähig? Wie sieht das Zusammenspiel Mensch–Roboter konkret aus? Gibt es technische und ethische Grenzen für den Einsatz von Robotern? Antworten auf diese und weitere Fragen zum Thema Robotik gibt Prof. Dr. Agathe Koller von der OST Ostschweizer Fachhochschule in diesem Interview.
Andreas Leu: Frau Koller, als Leiterin des ILT Institute for Lab Automation and Mechatronics führten Sie diverse Roboter-Projekte durch. Welche waren für Sie die spannendsten Ihres Instituts?
Agathe Koller: Seit über 15 Jahren beschäftigen wir uns mit Robotik, deshalb ist die Auswahl einigermassen schwierig. Zu meinen Favoriten gehört das Cybathlon-Projekt. Bei diesem internationalen Wettbewerb geht es um assistive Robotik. Das Projekt gehört sicher zu den Highlights an unserem Institut. Wir machten bei zwei Disziplinen mit. Bei einer geht es um motorisierte Rollstühle, bei der anderen um Exoskelette, beide als robotergestützte Hilfsmittel für Personen mit Behinderung. Das sind sehr spannende Projekte für unser Institut, da wir dabei einen direkten Nutzen und Mehrwert für Anwender oder Patienten sehen. Bei der Rollstuhl-Disziplin haben wir übrigens zweimal die Goldmedaille gewonnen.
Wurden bereits gewisse Entwicklungen aus diesen Projekten kommerzialisiert?
A. Koller: Da sind wir dran. Wir haben diese assistierenden Technologien im Hinblick auf den Wettbewerb entwickelt. Vorerst können wir diese Entwicklungen natürlich nur als «Rennmaschine» bezeichnen. Langfristig werden sich daraus sicher alltagstaugliche Assistenzprodukte ergeben, aber dazu sind natürlich noch Weiterentwicklungen notwendig.
Wird bei der Medizintechnik am Institut am meisten geforscht? Sehen Sie hier die zukunftsträchtigsten Projekte?
A. Koller: Die Medizintechnik ist bestimmt einer der wichtigen Forschungsschwerpunkte an unserem Institut, insbesondere im Bereich der Rehabilitation und der assistierenden Technologien. In gewisser Weise ist es eine Investition in die Zukunft. Bei medizinischen Produkten gehen die Entwicklungen meist sehr lange, bis man die Zulassung erhält und das Produkt am Patienten testen darf.
Verstehe ich das richtig, es sind in diesem Fall nicht nur technische, sondern auch regulatorische Hürden zu bewältigen?
A. Koller: Dem ist so, es sind zwei Herausforderungen. Auf der einen Seite sind es die Regulatorien, die auch immer wichtiger werden, auf der anderen Seite die «User Centricity». Das bedeutet, dass wir die richtigen Technologien für die Patienten entwickeln wollen. Wir beziehen bereits in der Frühphase der Entwicklung die Patienten, Therapeuten und Ärzte mit ein. Also all diese Personen,die schlussendlich das Produkt anwenden und bedienen.
Wie evaluieren Sie solche Projekte? Die Ideen kommen wahrscheinlich nicht von den Technikern.
A. Koller: Das ist genau unser Ansatz. Wir sprechen nicht nur mit Technikern, sondern mit allen involvierten Personen und Berufsgruppen oder sogar Versicherungen. All deren Anforderungen müssen wir frühzeitig berücksichtigen. Das entspricht genau der Strategie, die wir im Rahmen des Innosuisse Innovation Booster «User-Centred Healthtech» verfolgen.
Haben Sie auch interessante Projekte aus anderen Bereichen?
A. Koller: Natürlich, ein weiteres spannendes Beispiel ist die digitale Fabrikation in der Architektur. Hier geht es darum, die digitalen Technologien und die physikalische Bauprozesse zu vereinigen. Der Bereich der Konstruktion zeigt noch wenig Affinität zur Technik im Allgemeinen und zur Robotik im Speziellen. Bei dem Projekt arbeiten wir mit Architekten und Bauingenieuren zusammen. Unser Ziel ist es, das architektonische Bauverfahren mit Hilfe von Robotertechnologien zu automatisieren.
Wo sehen Sie in diesem Bereich die Hauptanwendungen? Etwa bei den autonomen Fahrzeugen?
A. Koller: Die Anwendung von autonomen Fahrzeugen im Bau ist sicher langfristig das Ziel. Momentan geht es in erster Linie darum, die Roboter auf die Baustelle zu bringen. Was heisst, dass die Sicherheit bei diesen Projekten ebenfalls eine zentrale Rolle spielt. Der Mehrwert für die Branche besteht darin, dass wir auch Architekturen und Bauwerke, welche nach speziellen Formen und Geometrien konstruiert sind, mit Hilfe von Robotern bauen können. Mit herkömmlichen Technologien war dies bisher nicht realisierbar. Im Rahmen des SNF-Programms «Digitale Fabrikation» forschen wir auch im Bereich der 3D-Betondruck-Technologie mit. In Kombination des additiven Druckverfahrens und der Robotik lassen sich verschiedene Komponenten wie zum Beispiel Säulen anfertigen. Theoretisch könnten es sogar ganze Hauselemente sein. Wir sind so in der Lage, nur so viel Beton zu verwenden und zu drucken, wie tatsächlich notwendig ist, was mit den herkömmlichen Verfahren schwierig ist.
Ein weiterer Anwendungsbereich für autonome Systeme ist die digitale Fabrik. Bei dem aktuellen Projekt «Smart Factory» bringen wir verschiedene Technologien zusammen, wie zum Beispiel autonome Systeme, kollaborative Roboter, Digital-Twin- und Cloud-Lösungen. Wir wollen mit unserer Smart Factory zeigen, was die Industrie in Zukunft damit machen kann. Dazu gehört auch die Prozesssteuerung über die Objekte, was letztendlich der Grundgedanke des Internets der Dinge ist.
Ist aus Ihrer Sicht die Roboter-Technologie bei den klassischen Fertigungsstrassen praktisch ausgereift? Gibt es hier, abgesehen von der kollaborativen Robotik, überhaupt noch Entwicklungspotential?
A. Koller: Wir erwarten hier eine gewisse Evolution, denn die klassischen Fertigungslinien werden langsam, aber sicher verschwinden. Wir werden in Zukunft vermehrt flexiblere Systeme einsetzen und dabei spielt die Robotik eine enorm wichtige Rolle. Die kollaborative Robotik ist dabei nur ein Teil davon. Ich gehe davon aus, dass die mobile Robotik und sogar Drohnen in der Fertigung und Logistik vermehrt eingesetzt werden. Ich kann mir gut vorstellen, dass die industrielle Produktion in Zukunft nicht mehr linear aufgebaut sein wird, sondern aus Stationen bestehen wird, die sich selbst konfigurieren, je nachdem welches Produkt gerade gefertigt wird. Die Anforderungen aus der Industrie entwickeln sich rasch: kleinere Serien, grössere Vielfalt, also bis praktisch Losgrösse 1, und dies bei möglichst kurzen Zykluszeiten. Um das zu erreichen, brauchen wir die volle Flexibilität in der Produktion. Es wird flexible Stationen geben, die mit autonomen, mobilen und flexiblen Robotern verbunden sind.
Welche Rolle wird der Mensch in diesem System noch spielen? Ich kann mir vorstellen, dass repetitive Aufgaben für ihn in Zukunft komplett verschwinden.
A. Koller: Ich sehe den Roboter auch hier nach wie vor als Hilfsmittel, der unterstützend wirkt, und nicht als Ersatz für den Menschen. Ich kann Ihnen gerne zwei Beispiele geben. Eines davon ist das bereits erwähnte Exoskelett, wenn es um assistierende Technologien geht. Wir entwickeln diese Technologie zwar für die Medizintechnik, jedoch kann man sie auch bei der Produktion einsetzen. Die Produktionsmitarbeiter werden in diesem Fall mit Exoskeletten ausgerüstet und können somit von schweren Lasten entlastet werden. Zudem verschwinden in Zukunft die nichtergonomischen Arbeitsplätze.
Als zweites Beispiel möchte ich an dieser Stelle die Logistik anführen. Der Online-Lieferant Amazon nimmt hier eine Vorreiterrolle ein. Es gibt dort nicht mehr das klassische Lagersystem mit grossen Portalrobotern, sondern einzelne mobile Systeme, die direkt mit den Produkten zum Logistikmitarbeiter fahren. Auch diese Entwicklung geht in Richtung angenehme, ergonomische Arbeitsplätze.
Welche Kompetenzen der Mitarbeiter*innen sind denn für diese Roboter-Einsätze gefragt? In der Vergangenheit war es eher der klassische Programmierer, ich vermute jedoch, das reicht heute für einen Entwickler von Roboterapplikationen nicht mehr aus. Welche Kompetenzen sollen die Absolventen am Ende des Studiums mitbringen?
A. Koller: Wir sind nach wie vor überzeugt, dass die Ingenieurinnen und Ingenieure eine solide Grundausbildung brauchen. Die Grundlagen müssen nach wie vor vermittelt und beherrscht werden. Eine Maschineningenieurin und ein Maschineningenieur müssen nach wie vor konstruieren und Produkte entwickeln können. Zwar lässt sich vieles virtuell abbilden, aber schlussendlich wird die Maschine als solche realisiert. Genau deshalb braucht es ein solides, «klassisches» Grundwissen. Ergänzend braucht es in Zukunft die sogenannten digitalen Skills, deshalb werden auch während der Ausbildung vermehrt die Themen Digitalisierung und Computational Engineering vermittelt. Die Chancen der Digitalisierung dürfen auf keinen Fall verpasst werden. Egal welche Fachrichtung man wählt, die Absolventen brauchen immer mehr Verständnis für die digitalen Prozesse im Unternehmen.
Ich gebe Ihnen dazu ein Beispiel in Zusammenhang mit Machine Learning. Wenn wir diese Technologie für die Qualitätskontrolle einsetzen, gibt es heute viel mehr Möglichkeiten als noch vor fünf Jahren. Man kann heutzutage mit relativ wenig Aufwand die Qualität der gefertigten Produkte erfassen. Das Wissen über solche Möglichkeiten gehört aus meiner Sicht ebenfalls zur Ausbildung eines Ingenieurs.
Wenn wir kurz bei der Digitalisierung bleiben. Welche Möglichkeiten beim Einsatz der künstlichen Intelligenz sehen Sie im Zusammenspiel mit der Robotik?
A. Koller: Ich sehe hier viele Einsatzmöglichkeiten. Es wird so sein, dass wir weiter darauf hinarbeiten, dass in Zukunft die Roboter möglichst einfach zu bedienen sind. Das bedeutet, dass wir dem Roboter durch Gestik oder Demonstrationen die Abläufe zeigen und damit, was er zu tun hat. Langfristig wird es nicht mehr notwendig sein, die einzelnen Positionen und Bewegungen zu «teachen». Man kann in Zukunft erwarten, dass dank dieser Intelligenz und den kognitiven Fähigkeiten der Roboter in der Lage ist, selbst zu lernen. Im Idealfall wird es so sein, dass der Produktionstechniker über keinerlei Kenntnisse der Roboterprogrammierung verfügen muss. Das klassische Schreiben des Quellcodes wird wegfallen. Diese Entwicklung ist jedoch eher langfristig zu sehen und es muss noch ziemlich viel darüber geforscht und die dazugehörenden Technologien entwickelt werden.
Besteht demzufolge in Zukunft die Möglichkeit, dass ein Roboter die Aufgabe praktisch selbst erkennt? Also eine Schraube eindrehen oder eine Schweissnaht ziehen, wenn er die notwendigen Informationen dazu hat?
A. Koller: Ich stelle mir das so vor, dass der gesamte Prozess zuerst manuell durchgeführt wird und danach der Roboter den Prozess lernt und somit die Skills selbst erarbeitet. Er ist auch in der Lage zu erfassen, was der Produktionsmitarbeiter macht oder machen will. Dass der Roboter selbst den gesamten Prozess vollumfänglich automatisiert, glaube ich weniger. Trotzdem ist es schon ein gewaltiger Schritt nach vorne, denn bisher musste jeder Prozessschritt einzeln erfasst werden.
Wenn wir beim Beispiel Schweissnaht bleiben, ist in Zukunft möglich, dass bei der Qualitätssicherung ein Roboter in der Lage ist, anhand der nachfolgenden gemessenen Daten selbst die eigenen Parameter und somit den Prozess zu optimieren?
A. Koller: Ja, auf jeden Fall. Wir sprechen hier von der Selbstoptimierung der Prozesse, bei der ein Roboter seine eigenen Parameter korrigiert.
Sie haben aufgezeigt, dass das Anwendungsfeld für Robotik sehr breit ist. Gibt es für Sie technologische und ethische Grenzen? Werden diese Fragen im Unterricht angesprochen?
A. Koller: Die Fragen im Bereich Ethik, Recht oder Nachhaltigkeit werden generell im Unterricht in sogenannten Kontextmodulen thematisiert. Wenn Sie die Robotik konkret ansprechen, ist für mich die Medizinrobotik ein sehr gutes Beispiel. Ein Roboter führt zwar eine Operation durch, allerdings besitzt nach wie vor der Arzt die Kompetenzen und der Roboter ist im Prinzip die dritte Hand. Die nächste Stufe wäre, dass der Roboter die Operation selbstständig durchführt. Das wäre in einem solchen Fall eine ethische Überlegung wert, ob man die Kompetenz an die Maschine abgeben möchte, auch wenn in diesem Bereich die Technologie ausgereift wäre.
Ein weiteres Beispiel wäre die Pflegerobotik. Wir wissen Bescheid über den Fachkräftemangel im Pflegebereich. Deshalb ist es naheliegend, dass wir versuchen, den Roboter für die Betreuung von Patienten einzusetzen. Angenommen die Technologie wäre irgendwann so weit, was sie noch nicht ist, wären wir bereit, ältere Menschen rein durch einen Roboter pflegen zu lassen? Dabei spielt sicher die Akzeptanz eine Rolle, denn eine Betreuung hat auch viel mit Kommunikation zu tun. Ein Roboter ist nicht in der Lage, Emotionen oder Empathie zu zeigen.
Wenn man an Roboter denkt, kommt einem eher die Ökonomie denn die Ökologie in den Sinn. Können Roboter bei der Nachhaltigkeit helfen?
A. Koller: Das grösste Potential sehe ich eindeutig bei der Landwirtschaft. Ich erwarte, dass die Landwirtschaft in den nächsten zehn Jahren völlig anders organisiert wird, denn die Technologien sind vorhanden und inzwischen bezahlbar. Wir haben ein Innosuisse-Projekt zusammen mit Agroscope und weiteren Partnern, mit dem Ziel, die Landwirte zu unterstützen und die Ressourcen effizienter einzusetzen. Zum Beispiel bei der Unkrautbekämpfung ist der Einsatz von Robotik sehr sinnvoll. Beim erwähnten Projekt nutzen wir Drohnen- und 5G-Technologien dazu, die Felder abzusuchen und damit Unkraut zu lokalisieren. Auch hier spielt die künstliche Intelligenz eine wesentliche Rolle. Eine dritte Komponente ist die mobile, autonome Navigation. Wir nutzen so ein autonomes Fahrzeug, um das Unkraut mit schonenden Technologien ohne Einsatz von Chemikalien zu vernichten. Wir möchten Technologien und Prozesse entwickeln, so dass die Landwirtschaft viel weniger Giftmittel verwenden muss.
(ID:47406940)