Umfrage Elektronik-Industrie: Fortschrittliche Lösungen sind angesagt
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Lieferengpässe, Fachkräftemangel, Unsicherheiten durch die Pandemie sowie die zunehmende Rohstoffknappheit. Elektronik-Unternehmen sind auf unterschiedlichen Ebenen gefordert. Wir befragten dazu betroffene Unternehmen und erhielten Antworten, wie sie mit diesen Herausforderungen umgehen.

Eine Umfrage, welche die Arbeitsgruppe Digitalisierung der «Initiative2025» im Jahr 2020 durchführte, enthielt die Frage: welche Bedeutung hatte die Corona-Krise für die Veränderung der Digitalisierungsstrategie in Bezug auf Prozesse, Kundenschnittstellen sowie die Entwicklung neuer digitaler Produkte, Services und Geschäftsmodelle? Rund 40 Prozent aller Befragten gaben an, dass die Wichtigkeit der Digitalisierung im Unternehmen aufgrund der Pandemie zugenommen hat.
Diese erstaunlich hohe Quote wirft Fragen auf. Es ist seit mehreren Jahren den Unternehmen der MEM-Industrie bekannt, dass nur der digitale Wandel in den Organisationen die Wettbewerbsfähigkeit auf dem international hart umkämpften Markt garantiert. Nun scheint es beinahe so, dass der Leidensdruck von aussen entsprechend gross sein muss, bis sich gewisse Unternehmen bewegen.
Es gibt in der Tat auch andere, positive Beispiele. Das zeigt unsere Umfrage auf. Auf die bewusst kritische Frage, wie sich das Unternehmen auf die zunehmende Rohstoffknappheit einstellt, erhielten wir konkrete, sinnbringende Antworten. Es ist ein Fakt, dass diese Problematik in Zukunft noch aktueller wird. Es ist zu hoffen, dass sich die Elektronik-Industrie auch in dieser Frage bewegt und frühzeitig nach griffigen und nachhaltigen Lösungen sucht. Die Vogel-Strauss-Taktik, sprich weiterhin auf Pump der nächsten Generationen zu leben, ist definitiv keine.
Ob Hersteller oder Distributor – für viele Unternehmen bedeuten Lieferengpässe von Elektronikkomponenten ein operatives Risiko. Die Pandemie hat, abhängig von der Branche, die Situation noch verschärft. Während sich die Automobilbranche nur langsam erholt, boomen zum Beispiel Firmen, die Medizintechnik produzieren. Wie erlebten Sie mit Ihrem Unternehmen diese schwierige Periode? In welchen Bereichen lagen die Hauptprobleme?
Oliver Roth, CEO, Grossenbacher Systeme AG: … wie erleben wir diese Periode, müsste die Frage in der Gegenwart lauten. Denn gerade aktuell haben bestimmte Halbleiterfabriken massive Engpässe, sind ausgebucht und die vielthematisierte Allokation treibt die Abgabepreise nach oben und Panikkäufe werden ausgelöst. Das heisst, letztes Jahr war die Supply Chain ein Thema, dieses Jahr wieder, nur anders. Gemeinsam mit Kunden versuchen wir, die Engpässe zu lösen, betroffen sind aber nicht nur Halbleiter; Sensorik und Steckverbinder tauchen ebenso auf. FR4 als Grundmaterial scheint punktuell nun auch aufzutauchen.
Allerdings «schwimmen» manche Händler und Verkäufer mit und versuchen die Preisspirale nun auch nach oben zu drehen. Die «schwarzen Schafe» herausfiltern ist dabei nicht einfach.
Zusätzlich könnte die Fokussierung von Verkaufskanälen, wie bei STM im Gange, als Bestreben zur Monopolisierung empfunden werden. Strategisch muss man sich deshalb zum Zeitpunkt der Entwicklung nun überlegen, welchen Herstellern man langfristig vertraut.
Lukas Krüsi, CEO, Styromat AG: Einerseits stellte für uns der allgemeine, pandemiebedingte Auftragsrückgang im vergangenen Jahr eine gewisse Herausforderung dar, anderseits hatten wir auch mit Logistikproblemen bei unseren Speditionspartnern zu kämpfen. Zwischenzeitlich hat sich die Auftragssituation mehrheitlich gut erholt, wobei sich aktuell die Herausforderungen im Bereich der angespannten Liefersituationen bei Bauteilen und Leiterplatinen manifestieren.
Stephan Krainer, Head Global Supply Chain, Variosystems AG: Die Pandemie führte bei uns zu unerwarteten Bedarfsspitzen vor allem im Medizingeräte-Bereich. Der kurzfristig gestiegene Bedarf stellte uns vor grosse Herausforderungen. Die eingeschränkte Verfügbarkeit von «Schlüsselkomponenten» machte die Planung und Produktion sehr schwierig und forderte ein Höchstmass an Kommunikation und Flexibilität. Durch die Variosystems-Produktionen an mehreren Standorten gleichzeitig konnten wir unsere Kapazitäten optimal nützen. Immer wieder stellte uns das «Abreissen» diverser Transportrouten vor neue Probleme. Dank unseres hervorragenden Teams und unserer hervorragenden Lieferpartner konnten wir jedoch alle Kundenaufträge erfüllen.
Gab es für Ihr Unternehmen gewisse Lehren aus dieser Zeit zu ziehen, um die Risiken der Bauteilbeschaffung in Zukunft zu reduzieren? Wurden Prozesse bei der Beschaffung oder die Weiterentwicklung der Produktionsplanungs- und Steuerungssysteme (PPS, MES, ERP) vorangetrieben?
Oliver Roth: Wir haben erst jüngst auf SAP S4/Hana gesetzt. In «normalen» Zeiten können wir damit unsere Lager- und Verfügbarkeitsoptimierung noch besser entwickeln als in der Vergangenheit. Bei den aktuellen Panikkäufen hilft dies jedoch nicht. Doch kann die Digitalisierung dann helfen, wenn der Kunde bereit ist, über einen längeren Zeitraum fixe Abrufe zu platzieren. Dies wird auch von der Distribution momentan empfohlen. Ob dies dann tatsächlich hilft, wird man sehen. Leider sind manchmal die Auftragsbestätigungen seitens Lieferanten nichts mehr wert, ob digital oder in Papierform …
Lukas Krüsi: Ja, wir haben im Bereich der Artikelbewirtschaftung neue Instrumente geschaffen und sind stetig daran, unsere Prozesse und Tools der hohen Dynamik im Elektronikgeschäft anzupassen. Einmal mehr zeigt sich, dass eine weitsichtige Bedarfs- und Produktionsplanung unumgänglich ist. Wir thematisieren diesen Umstand bei unseren Kunden so früh wie möglich, um Lieferengpässe zu vermeiden.
Stephan Krainer: Jede Krise bietet auch ihre Chancen. Wir haben Potential im Bereich der Harmonisierung, der Datengenauigkeit sowie in der Automatisierung erkannt. Diese Punkte arbeiteten wir in unsere Strategie ein.
Kunden, die bei ihrer Bauteilauswahl von Anfang an auf Multisourcing, speziell bei «Schlüsselkomponenten», setzen, hatten auch in dieser Situation einen klaren Vorteil. Diese vorteilhafte Erkenntnis geben wir natürlich vermehrt an unsere Kunden weiter und versuchen, Multi-Source-Lösungen gemeinsam in einer frühen Projektphase bereits einfliessen zu lassen.
Eine agile und flexible Planung sowie die werksübergreifende Redundanz werden weiter ausgebaut und im Fokus stehen.
Mit SAP Hana/S4 haben wir eine sehr gute Basis, die es gilt, für uns weiterzuentwickeln und dabei Automatisierungsthemen einfliessen zu lassen.
Eine weitere grosse Herausforderung ist für die MEM-Branche der Fachkräftemangel. Aufgrund der anhaltenden Pandemie ist es schwierig, geeignetes Personal aus dem Ausland zu rekrutieren. Wie geht Ihr Unternehmen mit dieser Situation um?
Oliver Roth: Überraschenderweise hat die Pandemie etwas Bewegung in den Arbeitsmarkt gebracht, so unsere Wahrnehmung. Wir erhalten deutlich mehr Bewerbungen, die Qualität ist besser als erwartet. Corona-konform haben wir deshalb Bewerbungen aus dem DACH-Raum gut berücksichtigen können. So freuen wir uns, unser grosses Team weiterzuentwickeln.
Lukas Krüsi: Wir konnten in den letzten Jahren trotz Fachkräftemangel glücklicherweise einige sehr gute Mitarbeiter rekrutieren. Attraktive Projekte und Aufgabenstellungen, eine moderne Denke im Unternehmen und nicht zuletzt auch die Nähe und Zusammenarbeit mit unseren Schweizer Hochschulen haben uns dabei geholfen.
Stephan Krainer: Die Krise hat unsere Wachstumsstrategie keinesfalls begrenzt oder gestoppt. Wir wachsen weiter an allen Standorten und werden zusätzlich einen neuen Standort in Mexiko eröffnet. Fachkräfte zu finden ist an manchen Standorten, zum Beispiel in der Schweiz, sehr schwierig. Wir bauen auf Topmitarbeiter beim Rekrutierungsprozess, eine hervorragende Unternehmenskultur, Infrastruktur und bilden auch eigene Mitarbeiter aus. Jedoch haben gerade die letzten Monate gezeigt, dass das Rekrutieren vermehrt auf Videokonferenzen verlagert wird. Auch die positive Erfahrung mit Home-Office erweitert den Kreis potenzieller neuer Mitarbeiter. Flexibilität ist auch hier sehr gefragt.
Die zunehmende Rohstoffknappheit für zum Beispiel Kobalt in Batterien und seltene Erden in Motoren steht zum Teil im Widerspruch zu Technologien, die in der Industrie vermehrt gefragt sind. Dazu gehören unter anderem autonome Fahrzeuge in Produktionshallen oder Drohnen für die Vermessung von Landschaften. Die Abhängigkeit von Ländern wie zum Beispiel China oder dem Kongo sind enorm gross. Wie sehen Sie die Trends in Bezug auf die Wiederverwertbarkeit und das Recycling von Elektronikkomponenten? Gibt es Alternativen zu solchen Rohstoffen? Entwickelt Ihr Unternehmen Strategien, um diese Probleme abzufedern?
Oliver Roth: Politisch hat man wohl versäumt, die weltweiten Bestrebungen von China einzudämmen. Recycling scheint die einzig vernünftige Antwort zu sein, wobei dies immer noch in den Kinderschuhen aus Sicht Elektronik scheint. Wenigstens gibt es Lichtblicke: Spezialisten, welche sich auf Li-Ionen-Akkus auch aus der Automotive-Welt nun einrichten.
Lukas Krüsi: Die wachsenden globalen Abhängigkeiten und die steigenden Bedarfe stellen uns vor grosse Herausforderungen (nicht nur bei seltenen Erden). Dass dabei die Wiederverwertbarkeit und das Recycling an Bedeutung gewinnen werden, erscheint uns naheliegend. Im Rahmen unserer Kundenentwicklungsprojekte versuchen wir, wo möglich auf Alternativen auszuweichen, konkrete strategische Masshamen haben wir derzeit jedoch noch keine definiert.
Stephan Krainer: Das Recycling dieser Materialien bzw. von nicht mehr benötigten Produkten macht in jedem Fall Sinn und ist Teil unserer Firmenphilosophie. Wir verfolgen weltweit eine genaue Wertstoff-Trennung, um die Materialien recyceln zu können. Die seltenen Rohstoffe werden vor allem in unseren Zulieferprodukten verwendet. Hier stellen wir sicher, dass in der Lieferkette nur vertrauenswürdige Quellen verwendet und die gesetzlichen Anforderungen erfüllt werden.
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