Smart Factory Echter Mehrwert durch neue Technologien

Von Dr. Harald Brodbeck, Rolf Höpli, Sabrina Perl |

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Begrifflichkeiten wie IoT, Artificial Intelligence, Industrie 4.0, Big Data und Blockchain sind als Schlagworte omnipräsent. Kein Wunder, dass die zugrunde liegenden Nutzenversprechen der heterogenen und unübersichtlichen Angebotslandschaft zahlreich sind.

Abbildung 1: Der Gesamtzusammenhang zwischen Strategie, Innovation und Technologie im Unternehmen
Abbildung 1: Der Gesamtzusammenhang zwischen Strategie, Innovation und Technologie im Unternehmen
(Bild: Neosight)

Die tatsächlich erzielbaren Potenziale sind für die meisten Unternehmen allerdings kaum greifbar, sodass eine grosse Verunsicherung und Zurückhaltung bei der Nutzung der Technologien besteht. Es stellen sich mehrere Fragen: Erstens: Wie werden die Potenziale für unser Unternehmen in Anbetracht unserer spezifischen Ausgangslage konkret und greifbar? Zweitens: Wie werden die richtigen Entscheidungen getroffen, um diese Potenziale zu heben und Wettbewerbsnachteile zu vermeiden? Drittens: Wie sieht eine Umsetzungsroadmap zur pragmatischen Nutzbarmachung der neuen Technologien aus?

Technologischer Fortschritt als Spannungsfeld für Unternehmen

Der technische Fortschritt rund um Themen wie AI, IoT, Big Data, Blockchain, Robotics, Sensorik etc. treibt die radikale Transformation bestehender Geschäftsmodelle, Prozesse und Wertschöpfungsketten weiter voran, hin zu immer dichteren und konsequent vernetzten Systemen mit Auswirkungen auf die Aufbau- und Ablauforganisation von Unternehmen, deren Leistungen, Mitarbeiter und Arbeitsmodelle. Dabei ergibt sich ein erhebliches Spannungsfeld: Einerseits bieten neue Technologien zahlreiche Chancen, um interne Prozesse zu optimieren, die Kundenbindung zu steigern und mit digitalen Services und Produkten neue Ertragsquellen zu erschliessen. Andererseits entstehen auch neue Risiken und Herausforderungen, beispielsweise durch den Eintritt neuer Wettbewerber, Cyber-Risiken oder kulturelle Herausforderungen u. a. durch gescheiterte Digitalisierungsprojekte und fehlendes Know-how.

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Vor diesem Hintergrund ist festzustellen, dass Schweizer Unternehmen grundsätzlich sehr engagiert in Technologie- und Digitalisierungsprojekten sind. So geben 94 % der Teilnehmer der Swissmem-Umfrage zum Umsetzungsstand von Industrie 4.0 in 2020 an, mindestens ein entsprechendes Projekt umgesetzt, in Arbeit oder geplant zu haben. Dabei sind, im Vergleich zu Grossunternehmen, besonders KMU in der Umsetzung aktiv. Laut der aktuellen Umfrage sind solche Technologieinitiativen heute allerdings stark durch operative Bedürfnisse, also Bottom-up, getrieben und werden demnach häufig aus einzelnen Abteilungen und Divisionen heraus initiiert. In der Konsequenz sind die verschiedenen Initiativen und Projekte selten aufeinander abgestimmt oder gar an der Unternehmensstrategie ausgerichtet. Dies führt zu Doppelspurigkeit, Effizienzverlusten und Verzettelung aufgrund eines mangelnden strategischen Fokus.

Zur unklaren Zielsetzung und fehlenden Strategie in der Thematik kommen weitere Hindernisse, wie die notwendige Anpassung der Organisationsstruktur, fehlende Projekt­ideen und unzureichende Akzeptanz und Know-how in der Belegschaft. Nicht selten muss ausserdem IT-technisch in den Basisanforderungen viel nachgeholt werden, was mit enormen Investitionen und einem entsprechenden Zeitaufwand verbunden ist.

Strategische Fokussierung – die richtigen Dinge tun

Es besteht somit ein grosser Bedarf, den Umgang mit und den Einsatz von neuen (digitalen) Technologien so zu gestalten, dass der Fokus auf die strategisch relevanten Projekte gerichtet und der Umsetzung neuer Schub verliehen wird. Das Grundmodell in Abbildung 1 verdeutlicht die Zusammenhänge.

Letztlich zielt der Einsatz neuer Technologien immer darauf ab, den vom Unternehmen aus Sicht der Strategie erwünschten bzw. notwendigen Output an Innovation zu generieren. Von Innovationen sprechen wir erst dann, wenn die internen oder externen Kunden einen spürbaren Mehrwert erfahren und sich gleichzeitig die vom Unternehmen angestrebten Effizienzgewinne oder Umsatzsteigerungen einstellen. Mittels aus der Strategie abgeleiteter Innovationsfelder werden die Bereiche definiert, in denen das Unternehmen Innovationen anstrebt. Daraus definieren sich die übergreifend relevanten Technologieschwerpunkte. Eine Ebene darunter entstehen aus den innerhalb der Innovationsfelder entwickelten Ideen und Use Cases konkrete Technologieentwicklungsbedarfe.

Technologieentwicklung als Mittel zum Zweck

Die definierten Innovationsfelder richten sowohl die Innovations- als auch die Technologieentwicklungsaktivitäten im Gesamtunternehmen strategisch aus. Das Projektteam, welches das Innovationsfeld bearbeitet, konzentriert sich zunächst auf die Ideengenerierung und entwickelt spezifische Use Cases. Auf Basis der entwickelten Use Cases werden die zu realisierenden (technischen) Funktionalitäten geprüft. Folgende Fragestellungen sind wegleitend:

  • 1. Welche Funktionalität ist für die Umsetzung des Use Cases erforderlich?
  • 2. Welche System-/Technologievoraussetzungen müssen zur Realisierung dieser Funktionalität gegeben sein?
  • 3. Welche strukturellen und prozessualen Anforderungen müssen gegeben sein?
  • 4. Wie sind wir als Unternehmen im Hinblick auf diese Anforderungen aufgestellt?

Aggregiert man den Bedarf aller Innovationsfelder hinsichtlich der umzusetzenden Funktionen, ergibt sich ein funktionaler Anforderungskatalog an die Technologieentwicklung und Digitalisierungsnotwendigkeit des Unternehmens. Dieser umfassende Anforderungskatalog ist in einem nächsten Schritt zu priorisieren, und zwar sowohl Bottom-up, aus Technologiesicht, als auch Top-down, aus finanzieller und wirtschaftlicher Sicht. Bei der Bottom-up-Priorisierung wird auf die für die Umsetzung der funktionalen Anforderungen notwendigen Technologien und Systeme eingegangen. Diese werden auf ihre Komplexität und ihren Umsetzungaufwand hin überprüft und ins Verhältnis zu den im Unternehmen vorhandenen Systemen, Technologien und Kompetenzen gesetzt. Daraus ergibt sich der erforderliche Invest sowie eine erste grobe Timeline. Es ist dabei wichtig, grundlegende Technologieentwicklungsthemen, sog. Enabler-Themen, von Use-Case-spezifischen Technologieentwicklungen zu unterscheiden. Enabler-Themen können als Grundlage der Umsetzung von Funktionen verschiedener Use Cases oder auch als Voraussetzung für die weitere Technologienutzung/-entwicklung dienen. Grundlagen­entwicklungsthemen stellen grundsätzlich einen Invest Case dar und werden über eine definierte Periode amortisiert, während Use Cases als Business Case betrachtet werden, welche über eine definierte Periode Umsatz generieren sollen. Die Use Cases werden ebenfalls priorisiert, nämlich anhand des erwarteten Umsatzwachstums durch den erzielten Kundenmehrwert oder der zu realisierenden Kostenreduktion durch Effizienzgewinne. Durch eine Gesamtbetrachtung werden die beiden Priorisierungen (Use Cases und funktionale Anforderungen) final diskutiert und mit der aktuellen Strategie abgeglichen. Dabei nimmt man eine strategische Gesamtkosten-Nutzen-Betrachtung vor und entscheidet im Management in Abstimmung mit der gemeinsam festgelegten Strategie. Dadurch wird die Auswahl/Priorisierung der entwickelten Use Cases je Fokusfeld festgelegt, woraus sich die umzusetzenden Funktionen und damit auch die erforderlichen Technologieentwicklungen ergeben. Es entsteht eine übergreifende, abgestimmte Projektroadmap, welche Innovations- und Technologieprojekte umfasst. Diese wird von strukturellen und prozessualen Anpassungen begleitet, um die notwendigen Voraussetzungen zur Umsetzung der Projektroadmap in der Organisation sicherzustellen.

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Wie Wama Technologien gezielt strategisch entwickelt

Als Beispiel ist an dieser Stelle der Waschmaschinenhersteller Wama angeführt. Strategisch hat sich Wama u. a. vorgenommen, aktuelle Prozesskosten zu reduzieren und die Kundenzufriedenheit weiter zu steigern. Aus diesen strategischen Zielen wurden im Rahmen der Strategieentwicklung verschiedene Innovationsfelder abgeleitet, wovon eines «Digitalisierung der Kundenschnittstelle» lautet. Nach einer ausgiebigen Ideen-Phase hat das Projektteam einen vielversprechenden Anwendungsfall entwickelt: Der Kunde soll bei Störungs- oder Wartungsmeldungen einfach und digital einen Termin mit dem Servicetechniker vereinbaren können. Bei der gemeinsamen Weiterentwicklung des Use Cases mit dem Technologieteam stellte sich die Terminbuchung über einen QR-Code auf der Waschmaschine als technologisch passendste Lösung heraus. Aus dem spezifizierten Use Case wurden sämtliche weiteren Technologieanforderungen abgeleitet:

  • Notwendigkeit der Vernetzung der Waschmaschine zur Bereitstellung von Daten
  • entsprechende Datenplattform zur Verarbeitung der Daten
  • Bereitstellung notwendiger Informationen in einem QR-Code auf der Waschmaschine
  • internes Buchungssystem mit Zugriff auf die Kalender der Servicetechniker zur Terminvereinbarung

Somit ergibt sich eine detaillierte Roadmap zur Umsetzung jener Technologieanforderungen, welche im angedachten Use Case des Innovationsfelds «Digitalisierung der Kundenschnittstelle» auf die beiden strategischen Ziele «Reduktion der Prozesskosten» durch Automatisierung (interner Kunde) und die «Steigerung der Kundenzufriedenheit» durch Prozessdigitalisierung (externer Kunde) einzahlt.

Fazit

Technologien sind kein Selbstzweck – im Gegenteil. Ihr Einsatz und ihre Entwicklung bedürfen einer klaren strategischen Legitimation, um zusammenhangslose Einzelentwicklung zu verhindern und das Risiko des Scheiterns aus Technologiesicht zu reduzieren. Top-down strategisch festgelegte Ziele geben die Innovationsaktivitäten vor, während Technologien als Befähiger zur Realisierung von Funktionalitäten dienen. Die tatsächlich messbaren Potenziale ergeben sich dann auf der Ebene einzelner Use Cases sowohl für externe als auch interne Kunden.

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