Interview Innovationskraft aus dem Toggenburg
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Engineering für Automatisierungsprojekte aus einer Hand. Ein modernes Tool zur modellbasierten Softwareentwicklung. Diese Leistungen und vieles mehr bietet die Firma AVM aus Dietfurt an.

In einem altehrwürdigen Gebäude der ehemaligen Spinnerei und Weberei Dietfurt AG, die noch Ende der 1960er-Jahre bis zu 400 Mitarbeiter beschäftigte, ist heute die Firma AVM ansässig. Ein aussergewöhnlicher Kontrast zu einem Unternehmen, das innovative Softwareprojekte für die Maschinenbaubranche anbietet. Geschäftsführer Marcel Widmer weiss, dass der Erfolg eines Unternehmens einem nicht in den Schoss fällt, und erläutert in diesem Interview mit der «Aktuellen Technik», wie die Firma AVM ihre Fachkräfte rekrutiert, den Veränderungen durch die Digitalisierung bei Kundenanforderungen begegnet und was er unter modernem Projektmanagement versteht.
Wie ist die Firma AVM aufgestellt? Aus welchen Industriesegmenten stammen die Kunden, und welches sind typische Projekte?
Marcel Widmer: Unser Hauptbereich sind Softwarelösungen für den Maschinenbau. Dabei fokussieren wir uns nicht auf ein spezielles Industriesegment. Der Grossteil unserer Kunden ist in der klassischen Fertigungsautomation angesiedelt. Wir entwickelten aber auch schon Lösungen für die Prozess- oder die Gebäudeautomation. Das sind allerdings eher Ausnahmen.
Der Kern unserer Arbeit ist das Verstehen der spezifischen Anforderungen der jeweiligen Branche und die Transformation dieser Problemstellungen in Softwaremodelle und -architekturen. Mit unseren Ingenieuren decken wir alle Anforderungen aus den Bereichen Evaluation, Konzeptionierung, Umsetzung und Schulung ab, die bei der Prototypenentwicklung einer neuen Produktionsmaschine im Serienbereich entstehen. Wir zeichnen dafür auch Schemata für die Schaltschränke oder entwickeln Sicherheitskonzepte. Da wir in erster Linie im Prototypenbau tätig sind, erhalten wir dank dieser Ausrichtung spannende und herausfordernde Projekte für unsere Mitarbeiter.
Zusammenfassend kann ich festhalten, dass der typische Kunde als solcher für AVM nicht existiert. Wichtig ist für uns vielmehr, dass die Kundenbeziehung auf Vertrauen basiert, immer partnerschaftlich aufgebaut und langfristig ausgelegt ist.
Das Dienstleistungsangebot von AVM für die Automation ist sehr umfangreich, beginnend bei der Beratung über die Projektierung bis zur Programmierung und Inbetriebsetzung von Steuerungs- und Antriebstechnik. Ausserdem verkauft AVM noch Hard- und Softwareprodukte. Wie finden Sie die Fachkräfte für all diese anspruchsvollen Disziplinen?
In der technischen Beratung und Projektumsetzung sind wir sehr breit aufgestellt. Der Verkauf von Hardware- und Softwareprodukten liegt bei der Geschäftsleitung. Grundsätzlich ist aber die Challenge schon vorhanden, die passenden Fachkräfte aus der Grossregion Ostschweiz zu rekrutieren. Natürlich sind die technischen Qualifikationen für die meisten Jobs wichtig. Wir suchen aber auch vor allem «Typen» beziehungsweise Menschen, die zu uns passen. Es braucht, um bei AVM zu arbeiten, Leidenschaft, etwas Neues zu lernen, und selbstverständlich auch Loyalität.
Bereits vor zehn Jahren konnten wir uns ein Arbeiten ohne saubere Versionsverwaltung bei Software- applikationen nicht mehr vorstellen.
Bei Vorstellungsgesprächen gebe ich gern den Hinweis, dass wir gewissermassen keine Mitarbeiter, sondern Mitunternehmer suchen. Die ganze Unternehmensphilosophie und -kultur beruhen auf Selbstständigkeit, Verantwortung und Engagement. Etwas plakativ ausgedrückt, die Soft Skills müssen passen.
Wir bieten aber auch absolute Transparenz im Unternehmen, angefangen bei der Buchhaltung bis zu den Löhnen und Bonuszahlungen. Dieser Mix, gepaart mit technisch interessanten Aufgaben sowie den sehr individuellen und fortschrittlichen Arbeitsbedingungen, gibt uns eine gute Positionierung und gute Chancen, um die «richtigen» Mitarbeiter zu finden.
Mit der Digitalisierung steigen die Erwartungen an kürzere Entwicklungszeiten. Kommen wir deshalb zu der Maschinensoftware-Lösung «UP», die von AVM zur Modellierung und Generierung von SPS-Applikationen entwickelt wurde. Welchen Nutzen erhalten die Anwender dieses Tools?
Mit «UP» entwickelten wir ein Engineering-Tool, das dem Programmierer erlaubt, eine Software zu entwickeln, die vom SPS-System unabhängig ist. Erst am Schluss entscheidet er sich, für welche Steuerungsplattform der Programmcode generiert werden soll. Dabei ist die Simulation der Software, das Testen der Abläufe bereits «auf dem Bürotisch», ein sehr wichtiger Punkt. In der Maschine selbst wird nur noch das Verhalten im Zusammenspiel mit der Mechanik getestet und optimiert. Der Rest muss vorab funktionieren, denn die Zeit dazu an der Anlage fehlt. Wie gehen inzwischen so weit, dass wir selbst die Tests modellieren und automatisiert ablaufen lassen können.
So wird der Softwareingenieur bereits in der Entwicklungsphase bei der Qualität des Progammcodes unterstützt, und es wird somit bei Anpassungen und Erweiterungen viel Zeit eingespart. Bei den Hochsprachen kennt man dieses Vorgehen schon länger, bei den SPS-Sprachen ist man im Normalfall noch weit davon entfernt. Auch eine Servicevisualisierung für Tests wird automatisiert erstellt. Zudem kann der Anwender praktisch auf Knopfdruck die gesamte Projektdokumentation und den Code nach IEC-61131-Norm generieren. Das Tool hat uns deshalb in den letzten zehn Jahren den Erfolg und die Marktdifferenzierung zu unseren Wettbewerbern gebracht. (Anm. der Redaktion: Im April 2016 wurde für «UP» im Rahmen des Wirtschaftsforums Toggenburg der Innovationspreis verliehen.)
Eine weitere Frage zum Thema Digitalisierung. Die technischen Anforderungen sind einer immer höheren Dynamik unterworfen. Wie geht AVM damit um? Und wie haben sich die Kundenforderungen und die Projektberatung in den letzten Jahren verändert?
Waren die Maschinenbauer vor zehn Jahren noch froh, eine Softwarearchitektur und eine entsprechende Umsetzung von uns zu erhalten, so gehören heute auch Beratung und praktische Umsetzung im Bereich der Durchführung eines Entwicklungsprojekts ganz klar dazu. Maschinenbauer begrüssen es sogar, wenn wir unsere Vorschläge über eine effizientere Projektabwicklung einbringen. Wir werden immer stärker in den gesamten Deployment-Prozess involviert, in Fragen zur Versions- und Variantenverwaltung bis zum Changemanagement.
Wichtig ist für uns, dass die Kundenbeziehung auf Vertrauen basiert, immer partnerschaftlich aufgebaut und langfristig ausgelegt ist.
Aufgrund der dynamischen Änderungen von Anforderungen während eines Projekts werden heutzutage oft agile Methoden im Engineering angewendet. Wie hat sich das Projektmanagement im Engineering generell verändert? Werden agile Projektmanagementmethoden bei AVM angewendet?
Auf jeden Fall. Wir verwenden dazu die Tools von Atlassian (Jira / Confluence) für das operative Projektmanagement und binden auch unsere Kunden dabei ein. Es verhält sich allerdings wie mit allen Philosophien, man muss sie an die jeweilige Branche adaptieren. Und speziell beim Maschinenbau gibt es einige Stolpersteine. Agiles Projektmanagement wird oft damit verwechselt, sich im Ziel nicht festlegen zu müssen und permanent neue Spezifikationen einbringen zu können.
Das funktioniert so natürlich nicht. Es lässt sich nicht alle zwei Wochen das Ziel ändern. Man muss dabei bedenken, dass agiles Projektmanagement aufseiten der Software recht gut funktioniert, zum Beispiel, dass bereits in frühen Phasen getestet wird. Da unsere Software auch immer parallel zu der Maschine entsteht, ist die Agilität etwas eingeschränkter, als wenn es sich um reine Softwareprojekte handelt. Es wäre unverantwortlich, alle zwei Wochen einen neuen Sprint aufzusetzen, wenn man bedenkt, dass es dazu allenfalls ein neues oder abgeändertes mechanisches Teil braucht.
Ein weiteres Learning war, dass agile Methoden zum Teil auch Stress bei den Mitarbeitern auslösen können. Wenn man nämlich die Sprintgrösse zu klein definiert, zum Beispiel für eine Woche, und man während dieser Zeit neue Anforderungen hinzupackt, werden diese immer mitgenommen. Sind innerhalb der Teams die Sprints vernünftig aufgeteilt, sind eine agile Vorgehensweise und der regelmässige, gemeinsame Austausch natürlich enorm wertvoll.
Hatte die agile Methode einen Einfluss auf die Qualifikationen der Mitarbeiter, oder brauchte es spezielle Schulungen? Wie haben Sie Ihr Personal mitgenommen?
Es gab tatsächlich Mitarbeiter, die für diese Methodik Weiterbildungen besuchten und dieses Wissen in das Team einbrachten. Wir führen monatlich technische Meetings durch, in denen wir unsere Projekterfahrungen austauschen oder Informationen und Erkenntnisse aus derartigen Schulungen an das Team weitergeben. Ein solch geschulter Mitarbeiter agiert jeweils als Coach für andere, indem er alternative Ansätze aufzeigt. Auch unsere Kunden sind dankbar, wenn wir sie bei der Einführung neuer Entwicklungsmethoden unterstützen.
Welche allgemeinen und technischen Anforderungen werden in Zukunft aus dem industriellen Umfeld auf Sie zukommen? Wie bereitet sich AVM auf diese Entwicklungen vor?
Bereits vor zehn Jahren konnten wir uns ein Arbeiten ohne saubere Versionsverwaltung bei Softwareapplikationen nicht mehr vorstellen. Simulation ist ebenfalls schon seit langer Zeit ein absolutes Muss bei unseren Projekten, und zwar nicht als externes oder separates Projekt, sondern bereits bei der Entwicklung integriert und nahe am Prozess. Diese Eigenschaften werden heute nun bereits in vielen Projekten angestrebt oder nachgefragt.
Die nächste Stufe im Bereich der Softwareentwicklung für den Maschinenbau sind die automatisierten Testcases, die man auf der Hochsprachenseite schon lang kennt und anwendet. Auch in diesem Bereich haben wir bei AVM bereits seit einigen Jahren eine Lösung innerhalb unseres Frameworks für verschiedene Plattformen wie Siemens, B & R oder Beckhoff.
Weitere Schritte werden eine stärkere Einbettung der Software in den gesamten mechanischen Entwicklungsprozess und die Integration sowie die Reduktion von Schnittstellen und Informationsbrüchen sein. An dieser Stelle sind nun in erster Linie die Hersteller gefordert, endlich ihr «Gärtchendenken» aufzugeben und standardisierte, offene Schnittstellen anzubieten. Wir als Anwender sowie unsere Kunden sind noch nicht an diesem Punkt angelangt, wo wir gern wären.
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