Neue EU-Maschinenverordnung: Auswirkungen auf die Schweiz
Im Juli 2023 ist die neue EU-Maschinenverordnung in Kraft getreten. Das hat auch Auswirkungen auf Schweizer Hersteller, Exporteure und Händler. Die wichtigsten Punkte hat Rechtsanwalt Hans-Joachim Hess im folgenden Artikel zusammengefasst.

Mit der Veröffentlichung der neuen EU-Maschinenverordnung im Amtsblatt der EU vom 29. Juni 2023 (ABl. EU Nr. L 165/1) ist am 19. Juli 2023 die neue EU-Maschinenverordnung in der Europäischen Union (EU) in Kraft getreten. Allerdings müssen die europäischen und Schweizer Maschinenbauer noch nichts befürchten, denn die Übergangsfristen, bis die neuen Vorschriften tatsächlich angewendet werden müssen, laufen - mit einigen wenigen Ausnahmen - bis Januar 2027. Den Unternehmen wird innerhalb der nächsten 3 ½ Jahr die Möglichkeit eingeräumt, die zahlreichen und wichtigen neuen formellen und vor allem auch technischen Anforderungen auf Ihre Maschinen zu übertragen und umzusetzen. Bis dahin gilt noch die alte EU-Maschinenrichtlinie aus dem Jahr 2006 (2006/42/EG), die auch in der Schweiz annähernd gleichlautend über die Schweizer Maschinenverordnung (MaschV) zur Anwendung gelangt.
Ende der Vermutungswirkung
Mit Auslaufen der Gültigkeit der aktuellen Maschinenrichtlinie verlieren alle bisherigen nach der alten Richtlinie harmonisierten Normen ihre Vermutungswirkung. Sie erhalten nicht automatisch die Vermutungswirkung zur neuen Verordnung. Anhang III der neuen Maschinenverordnung (was bisher Anhang I der alten Maschinenrichtlinie) führt mehrere Veränderungen auf. Aus diesem Grund müssen sämtliche Normen auf diese Veränderungen überprüft und gegebenenfalls angepasst werden. Die momentan für Maschinen gelisteten 1112 geltenden Normen sollen über 350 Normen zurückgezogen und teilweise überabreitet werden. Der Maschinenhersteller hat also zum Stichtag mit dem Inkrafttreten der neuen Maschinenverordnung dafür Sorge zu tragen, dass er Normen anwendet und angibt, die tatsächlich noch die Vermutungswirkung beinhalten, ansonsten er die Sicherheitsziele der Verordnung auf andere Weise zu erfüllen hat.
Für Systeme künstlicher Intelligenz sollten die spezifischen Rechtsvorschriften der Union über künstliche Intelligenz gelten (COM (2021) 206 final), da sie besondere Sicherheitsanforderungen für Systeme künstlicher Intelligenz mit hohem Risiko enthalten.
Schutz vor Manipulation der sicherheitsrelevanten Steuerung
Industrielle Anlagen werden durch eine sogenannte «Operational Technology «(OT) im Hard- und Softwarebereich gesteuert und überwacht. Daher gelten im OT-Bereich unterschiedliche Anforderungen an die Security als im IT-Umfeld in der Büroebene. Deswegen wird nun im Anhang III EU-Maschinenverordnung ein neues Kapitel 1.1.9 mit dem Titel «Schutz vor Manipulation» konkrete Schutzmassnahmen für Maschinen gegen Manipulation der sicherheitsbezogenen Steuerung vorsehen. Nach allem muss nach allem ein Remote- ebenso wie ein Vor-Ort-Zugriff auf die Sicherheitseinrichtung beherrschbar sein. Je nach Anwendung werden dies nur technische Lösungen sein. OT-Security (vgl. IEC 62443) erfordert eine umfassende Betrachtung, die je nach den spezifischen Anforderungen einen mehrstufigen Schutz bedingt. Weitere Risiken im Zusammenhang mit der neuen Digitaltechnik sind solche, die durch böswillige Dritte hervorgerufen werden und sich auf die Sicherheit von Maschinenprodukten auswirken. Diesbezüglich sollten die Hersteller dazu verpflichtet sein, verhältnismässige Massnahmen zu ergreifen, die sich auf den Schutz der Sicherheit des Maschinenprodukts beschränken. Die Hersteller sind auch nach der neuen Verordnung für die Bescheinigung der Konformität ihrer Maschinenprodukte mit dieser Verordnung grundsätzlich selber verantwortlich. Für einige Arten von Hochrisiko-Maschinenprodukten wird jedoch ein strengeres Zertifizierungsverfahren vorgeschrieben, das die Beteiligung einer notifizierten Stelle erfordert.
Software als Sicherheitsbauteil
Die Entwicklung im Maschinensektor hat dazu geführt, dass zunehmend digitale Mittel eingesetzt werden und Software eine immer wichtigere Rolle bei der Konstruktion von Maschinen spielt. Folglich wird die Definition von Maschinen angepasst werden. In dieser Hinsicht werden Maschinen, bei denen lediglich das Aufspielen einer für die spezifische Anwendung der Maschine bestimmten Software fehlt, unter die Begriffsbestimmung für Maschinen und nicht unter die Begriffsbestimmung für unvollständige Maschinen fallen. Darüber hinaus wird die Begriffsbestimmung für Sicherheitskomponenten nicht nur physische, sondern ferner auch digitale Komponenten umfassen. Um der zunehmenden Verwendung von Software als Sicherheitskomponente Rechnung zu tragen, wird Software, die eine Sicherheitsfunktion erfüllt und separat in Verkehr gebracht wird, als Sicherheitskomponente betrachtet.
Ab 2027 können die Konformitäts- und Einbauerklärung stets in digitaler Form zur Verfügung gestellt werden. Dies gilt nicht uneingeschränkt für die Betriebsanleitung. Für reine B2B-Maschinen werden digitale Betriebsanleitungen grundsätzlich gestattet; Papierfassungen müssen allerdings auf Wunsch des Endkunden innerhalb eines Monats nach Kauf zur Verfügung gestellt werden. Das hat zur Folge, dass beispielsweise bei einem Vertrieb über den Handel der Hersteller unter Umständen noch lange Zeit nach dem Inverkehrbringen die Lieferung einer Anleitung in Papierform gewährleisten muss.
Die neue EU-Maschinenverordnung hat sich auch dem Problem angenommen, was geschieht, wenn die Maschine nach dem Inverkehrbringen oder der Inbetriebnahme durch den Betreiber oder Dritte «verändert» wird. Die neuen Vorschriften halten fest, dass als «wesentliche Veränderung» jede vom Hersteller nicht vorgesehene oder geplante physische (oder digitale) Veränderung zu verstehen ist, die nach dem Inverkehrbringen bzw. nach der Inbetriebnahme vorgenommen wird. Die Person, die eine «wesentliche Veränderung» vornimmt, wird ausdrücklich zum Hersteller mit allen damit verbundenen – vor allem formellen – Pflichten.
Bedeutung für die Schweizer Maschinenbauer
Gemäss der neuen Maschinenverordnung und der EU-Marktüberwachungsverordnung brauchen Hersteller aus der Schweiz ab Januar 2027 einen sogenannten Wirtschaftsakteur in der EU. Das ist entweder eine vom Hersteller beauftragte Person, der Importeur oder der Händler. Erforderlich ist, dass ein solcher Wirtschaftsakteur in der EU niedergelassen ist. Somit kann der Schweizer Hersteller deren Pflichten nicht selbst erfüllen. Diese Person muss auch auf dem Produkt angegeben werden, was bei Massenprodukten zu einem erheblichen Mehraufwand führt.
Diese neuen Bestimmungen werden - laut Angaben des Swissmem - den Marktzugang für Schweizer Hersteller erschweren. Der Export in die EU wird für die betroffenen Firmen deutlich aufwändiger und somit teurer. Nur eine Aktualisierung des Abkommens zwischen der Schweiz und der EU über die gegenseitige Anerkennung von Konformitätsbewertungen (MRA) kann dies verhindern.
Die hier vorgestellten neue EU-Maschinenverordnung ist die späte Reflexion auf ein längst hoch technologisches und digitales, technisches Umfeld. Daher sind eben nicht nur die neuen Vorgaben der EU-Maschinenverordnung zu beachten und umzusetzen, sondern auch weitere EU-Bestimmungen, wie beispielsweise die europäische Verordnung über Künstliche Intelligenz (KI) oder die Vorschriften zur Cybersicherheit verlangen im Rahmen einer wirksamen «Product Compliance» bereits heute die aktive Auseinandersetzung mit den neuen Vorgaben. Insbesondere die Softwareentwickler stehen nun auch in der Haftung und die Sicherheit der gesamten IT-Struktur wird als «Chefsache» betrachtet werden müssen. Hinzu kommt eine Liste von weiteren vor allem Nachmarkt- und Dokumentationspflichten, die durch die Hersteller, Importeure und Händler zu beachten sind, worunter die uneingeschränkte Meldepflicht (nun auch für B2B Produkte) gegenüber den nationalen Marktaufsichtsbehörden für den Fall, dass «unsichere» Maschinen auf den Markt gebracht wurden, die wohl härteste Verpflichtung darstellt.
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