Digitale Transformation Untersuchungen zeigen: Kaffee hilft bei der Digitalisierung

Redakteur: Andreas Leu |

Zugegeben, ein etwas ausgefallener Titel. Anhand der Produktion einer Tasse Kaffee soll die Digitalisierung veranschaulicht werden. Was hat das überhaupt mit Wissenschaft zu tun?

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V. l. n. r.: Lucian Dold, Andreas Leu und Daniel Gillmann.
V. l. n. r.: Lucian Dold, Andreas Leu und Daniel Gillmann.
(Bild: Markus Hemmi)

Bei der Cafeteria I4.0 handelt es sich um eine digitale Lernfabrik. Als Wanderausstellung hilft sie, Personen die Digitalisierung und das Wesen von Industrie 4.0 näherzubringen und sie darin zu befähigen. Es wurde schon einiges an Messen und Events erreicht, jedoch ist die Verunsicherung im Umgang mit dem digitalen Wandel bei vielen noch gross.

Dass die Digitalisierung in Zukunft einen enorm wichtigen Stellenwert in der Geschäftswelt haben wird, ist inzwischen den meisten Unternehmen bewusst. Es wird auch auf verschiedenen Ebenen Aufklärung betrieben. Trotzdem tun sich noch viele Firmen mit der Umsetzung schwer. Warum das so ist, darüber diskutierte «Aktuelle Technik» mit zwei Experten, die sich seit mehreren Jahren intensiv mit dem Thema Digitalisierung auseinandersetzen: Daniel Gillmann, CEO bei Solve Engineering, und Lucian Dold, General Manager Tactics & Operation bei Omron.

Andreas Leu: Herr Gillmann, Sie sind der Initiator des Projekts Cafeteria I4.0. Was hat Sie seinerzeit dazu bewogen, das Projekt mit Ihrer Crew zu starten?

Daniel Gillmann: Die Idee entstand vor etwa fünf Jahren, damals war Industrie 4.0 in aller Munde, viele sprachen davon, aber kaum jemand hatte wirklich eine Ahnung, geschweige Erfahrung. Digitalisierung existierte vor allem auf Power Points der Berater. Dementsprechend gross war die Verunsicherung, um was es überhaupt geht. Wir haben einen Weg gesucht, I4.0 und Digitalisierung erlebbar zu machen. Zum einen für uns im Unternehmen, um zu lernen, zum anderen aber auch, um das Wissen zu teilen, die Digitalisierung zu fördern und Vorurteile abzubauen

Andreas Leu: Bevor wir zu der eher theoretischen Abhandlung von Herrn Dold kommen: Sie haben mit dieser Wanderausstellung bereits Aufklärung betrieben. Wie erleben Sie die Reaktionen des Publikums?

Daniel Gillmann: Wir hören immer wieder, dass unsere Cafeteria I4.0 die Thematik einfach und verständlich zeigt. «Jetzt sehe ich endlich einmal etwas Konkretes», das haben wir schon sehr oft von Besuchern gehört. Die Kombination aus Kaffeepause, spielerischem Erleben und handfester Technik kommt ebenfalls gut an. Gleichzeitig sehen wir aber auch, dass die Themen unendlich breit gefächert sind und jeder seine individuelle Sicht hat, was Digitalisierung wirklich ist und wo sie sinnvoll ist.

Andreas Leu: Herr Dold, bei unserem letzten Treffen haben Sie konstatiert, dass Kaffee für das Verständnis der Digitalisierung nützlich ist. Wie ist so eine Aussage zu verstehen? Das eine hat doch mit dem anderen genau genommen nichts zu tun.

Lucian Dold: Natürlich ist das eine etwas provokante Bemerkung, denn auf den ersten Blick haben die beiden tatsächlich nichts miteinander zu tun. Sieht man jedoch genauer hin, stellt man fest, dass der Bezug jedes Einzelnen von uns zu Kaffee sehr ausgeprägt ist. Wir wissen relativ viel über den Kaffeeherstellungsprozess, oder zumindest konsumieren wir Kaffee.

Die Digitalisierung bietet allerdings zurzeit genau das umgekehrte Bild. Jeder hat ein anderes Verständnis dafür, kann es jedoch nicht einordnen und weiss deshalb nicht genau, wie er damit umgehen soll. Er empfindet das Thema als komplex und teilweise sogar als bedrohlich. Aus diesem Grund kam mir die Idee, Kaffee und Digitalisierung als gegen seitige Ergänzung zu sehen. Und persönlich habe ich natürlich für beides eine Passion.

Andreas Leu: Dieser Zusammenhang ist schon interessant, und ich finde Ihre Aussage, eine Passion für beides zu haben, durchaus signifikant. Ist das der Grund, weshalb sie sich für die Cafeteria I4.0 engagieren?

Lucian Dold: Nun, es wäre übertrieben, eine solche Aussage zu machen. Allerdings muss ich gestehen, dass ich, als mir die Idee zum ersten Mal präsentiert wurde, sofort Feuer und Flamme war. Und zwar weil die Cafeteria I4.0 in einer einfachen Form das komplexe Thema Digitalisierung erfahrbar und verständlich vermittelt. Betrachtet man die Ergebnisse neuester Studien, zeigt sich, wie wichtig das Verständnis und die Erfahrung im Umgang mit der Digitalisierung sind.

Andreas Leu: Nehmen wir das Stichwort theoretische Abhandlung. Sie haben sich jüngst intensiv mit den Einflussgrössen einer digitalisierten Produktion im Hinblick auf das Investitionsverhalten von Unternehmen beschäftigt.

Lucian Dold: Ja, und zwar sehr intensiv. Ich habe über einen längeren Zeitraum mithilfe von wissenschaftlichen Methoden untersucht, wie man Einflussgrössen eines Unternehmens beobachten und erfassen kann und wie diese sich tatsächlich auf unterschiedliche Verhaltensweisen bei Technologie-Investitionen auswirken. Ohne jetzt zu sehr ins Detail zu gehen, zeigen sich in der Praxis sehr oft paradoxe Situationen, die als Konsequenz zu enttäuschenden Ergebnissen bei Digitalisierungsprojekten führen. Erstaunlicherweise finden sich in der wissenschaftlichen Literatur zur Computerisierung in den 1980er-Jahren Erkenntnisse, die sehr ähnliche Muster aufweisen. Sehr oft wird an dieser Stelle Robert Solow zitiert, der diese Situation als Paradoxie formulierte.

Andreas Leu: Was sagt diese Paradoxie aus? Können Sie dazu ein Beispiel geben?

Lucian Dold: «You can see the computer everywhere, but in the productivity statistics», auf Deutsch: «Computer finden sich überall, ausser in Produktivitätsstatistiken.» Ähnliche Aussagen bekommt man heute von Finanzcontrollern, wenn man diese nach dem finanziellen Nutzen von Digitalisierungsprojekten befragt.

Andreas Leu: Warum ist das so? Ich kann mir schlecht vorstellen, dass sich die Digitalisierung unvorteilhaft auf die Produktivität eines Unternehmens auswirkt.

Lucian Dold: Gemäss meiner Erkenntnis liegt der Kern des Problems in der konventionellen Betrachtung von Amortisation beziehungsweise ROI, der sich meist nur auf die unmittelbare Auswirkung im digitalisierten Arbeitsschritt bezieht. Betrachtet man allerdings den konkreten Nutzen einer Digitalisierungsmassnahme gesamtheitlich, stellt man fest, dass neben dem direkten Nutzen auch sekundäre Beiträge für die Gesamtproduktivität des Unternehmens geschaffen werden. Das bewirkt eine neue Qualität von Komplexität, die erschwerend auch noch mit zeitlicher Latenz zu bewerten ist.

Es lässt sich beobachten, dass viele Unternehmen erste Gehversuche mit neuen Technologien machen und dann auf halbem Weg stehen bleiben. Sie fragen sich, ob die Massnahme wirklich etwas bringt.

Andreas Leu: Interpretiere ich das richtig, dass wir uns durch unsere rückwärtsgewandte Sichtweise selbst einschränken?

Lucian Dold: Besser hätte ich es nicht ausdrücken können. Ja, natürlich! Viele Führungskräfte auf den mittleren Ebenen scheuen sich, Risiken zu übernehmen beziehungsweise ihre Mitarbeiter bei den notwendigen Veränderungsprozessen zu unterstützen. Dadurch werden Chancen nicht erkannt, und man ist sprichwörtlich mit dem Spatz in der Hand zufrieden. Ich muss allerdings auch anmerken, dass es Firmen gibt, deren Führungskultur neutral ausgeprägt ist. Diese Firmen beweisen heute schon, dass sie einen umfassenden Nutzen aus der Digitalisierung ziehen und damit als Folge davon Wettbewerbsvorteile generieren.

Andreas Leu: Herr Gillmann, Sie sind mit Ihrem Engineeringunternehmen sehr nahe bei den Kunden. Machen Sie in dieser Hinsicht ähnliche Erfahrungen?

Daniel Gillmann: Das kann ich hundertprozentig bestätigen. Jeder will Digitalisierung beitreiben, und ein paar Daten sind schnell gesammelt, und man kann diese auch noch auf einer Website darstellen. Daran ist grundsätzlich nichts falsch, aber es ist eben nur ein kleiner Teil. Richtig spannend wird es erst, wenn die gewonnenen Einblicke auch genutzt werden. Das bedeutet aber, dass Informationen plötzlich transparent vorliegen und dass etablierte Kommunikationswege hinterfragt werden. Der Einsatz von Digitalisierung hinterfragt eben auch Prozesse und zeigt Zusammenhänge, die manche vielleicht nicht sehen möchten.

Andreas Leu: Ich kann mir vorstellen, dass zumindest die Vorstände und Geschäftsführer auch zu diesen Firmen gehören möchten. Was würden Sie diesen raten, um hier eine neue Sichtweise zu etablieren?

Lucian Dold: Konkret habe ich bei einer Umfrage herausgefunden, dass 75 Prozent des Senior-Managements tatsächlich Digitalisierungsmassnahmen aktiv als Sponsor fördern. Dieselbe Umfrage zeigte aber auch, dass lediglich 54 Prozent des Kaders Mitarbeiter in diese Richtung führen, und zudem, was weitaus bedenklicher ist, lediglich 26 Prozent der Unternehmen neue Technologien aktiv einsetzen wollen. Das Problem ist also nicht der Wille des Topmanagements, sondern die fehlende digitale Transformation innerhalb der Organisation.

Andreas Leu: Präziser ausgedrückt: das Verständnis von Digitalisierung und der Abbau von Ängsten und Ressentiments beim Personal. Mit anderen Worten, es reicht also nicht, nur in Roboter und Cloud-Lösungen zu investieren?

Lucian Dold: Nein, das reicht bei Weitem nicht. Es ist vielmehr so, dass sich rein statistisch aufzeigen lässt, dass sich die Notwendigkeit von Investitionen in die Transformation einer Organisation mit einer stärkeren Korrelation auswirkt als die Notwendigkeit, in Technologie zu investieren. Das ist konkret so zu interpretieren, dass eine reife digitale Organisation und befähigte Mitarbeiter in der Lage sind, die notwendige digitale Technologie in dem Masse einzusetzen, sofern ein tatsächlicher Nutzen für das Gesamtunternehmen generiert wird.

Konkret ermutige ich jedes Unternehmen, das über eine digitalisierte Produktion nachdenkt, mindestens 40 Prozent des Investitionsvolumens für Organisation-Investitionen zu reservieren. Unter diesen Investitionen verstehe ich Schulungen und Workshops, die Anpassung von Prozessen, der Ausbau von Kompetenzen sowie die Schaffung neuer digitaler Funktionen. Das Ganze muss teils vorgelagert, teils parallel mit einer tatsächlichen Technologie-Investition erfolgen.

Andreas Leu: Das klingt einleuchtend und logisch, aber wie setzt man das in der Realität um und wie beginnt man überhaupt?

Lucian Dold: An dieser Stelle möchte ich die Brücke zum Kaffee schlagen. Ganz wichtig ist es, die Menschen von Anfang an mit einzubeziehen und sie mit der Digitalisierung vertraut zu machen. Die Cafeteria I4.0 hat mir von Anfang an diese Möglichkeit gegeben und beweist bei jedem Einsatz, wie wertvoll eine Digitalisierung zum Anfassen ist. Meine Studienergebnisse bestätigen: Fünf Jahre nach unserem Entschluss, bei der Cafeteria I4.0 als Stiftungsmitglieder einzusteigen, ist es notwendig, die Komplexität des Themas in eine Begeisterung für die Digitalisierung zu führen.

Andreas Leu: Und die Cafeteria I4.0 leistet das alles?

Lucian Dold: Das wäre schön, wenn die Cafeteria I4.0 wirklich alle Herausforderungen aufzeigen könnte. So ist es leider nicht. Die Cafeteria I4.0 hilft zu Beginn, die betroffenen Menschen mit der Digitalisierung vertraut zu machen. Im Anschluss müssen natürlich Schulungen, Organisationsanpassungen und die jeweilige Technologieapplikation geplant und umgesetzt werden.

Andreas Leu: Bei der Cafeteria I4.0 handelt es sich ja nicht um ein abgeschlossenes Projekt, sondern um eine interaktive Lernfabrik und eine Art Spielwiese für Entwickler. Welche Erweiterungen sind geplant?

Daniel Gillmann: Bei jedem Event bringen unsere Besucher Ideen ein, was man noch erweitern könnte und welche Themen beleuchtet werden könnten. Deshalb bin ich zuversichtlich, dass sich die Cafeteria I4.0 noch über viele Jahre mit der Technologie und dem Verständnis für Digitalisierung weiterentwickeln kann und wird. Konkret wollen wir die Datennutzung ausbauen und mehr mobile Geräte einbinden. Und jetzt ist auch die Zeit für kollaborative Roboter gekommen, auch hier bestehen verschiedene Einsatzmöglichkeiten der Geräte. Ausserdem ist der Grundsatz «Digital von der Wiege bis zur Bahre» noch nicht konsequent umgesetzt, uns fehlt zum Beispiel noch die Entsorgung, sozusagen der «intelligente Abfalleimer».

Andreas Leu: Sie haben auch einen Artikel mit dem Titel «Wo bitte geht es zur Digitalisierung?» verfasst. Geben Sie uns zum Schluss bitte noch zwei oder drei Tipps, welche Stolperfallen bei der digitalen Transformation auf die Unternehmen warten und wie man sie vermeiden kann.

Daniel Gillmann: Trotz oder gerade wegen der Komplexität des Themas: Fangen Sie an, erfahren Sie, lernen Sie! Aus meiner Sicht funktionieren Digitalisierungsprojekte nur nach einem agilen Ansatz, denn Anforderungen und Möglichkeiten ändern sich schnell. Digitalisierung kann man nicht theoretisch angehen, sondern das Unternehmen muss lernen und sich an eine neue Denkweise gewöhnen.

Zweitens: Versuchen Sie keinen Alleingang. Das Thema ist zu vielschichtig, und kaum ein Unternehmen kann das gesamte Know-how intern bereitstellen. Digitalisierungsprojekte müssen deshalb mit einem guten Netzwerk von Partnern angepackt werden. Aber man kann Digitalisierung auch nicht komplett outsourcen, da sich eben auch die Organisation selbst verändern muss.

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